Podiumsdiskussion: Warum Menschen ihre Heimat schweren Herzens verlassen

Motive und Erklärungen für Flucht in Zeiten einer neuen „Völkerwanderung“

Es sind schwerwiegende Gründe, weshalb Menschen ihrem Heimatland den Rücken kehren und ihr Glück in der Ferne suchen. Anlässlich des Weltflüchtlingstags schilderten drei Geflüchtete am 10. Juli 2018 im Rahmen einer Podiumsdiskussion in der Michaeli Schule ihre Motive und Fluchterfahrungen, die um die Perspektive, was in Deutschland und der Welt passiert, von kompetenten Gesprächspartnern ergänzt wurde.

Teilnehmende an der Diskussion waren die gebürtige Iranerin Nafice Fazely, Ferhad Dawood aus Syrien und Pascal Sevadouno aus Guinea sowie Bernhard von Grünberg für die Uno-Flüchtlingshilfe, Uwe Rhiem als ehemaliger Polizist und Leiter zweier Flüchtlingsheime, Anette Mandt für die sprachliche Integration mit Schwerpunkt Frauen und Sonja Niggemeier als Vertreterin für die Freiwilligenagentur Köln, die zivilgesellschaftliches Engagement fördern will und zur Einordnung die Zahl von 9000-10000 in Kölner Heimen untergebrachten Geflüchteten nannte. Moderiert wurde die Veranstaltung von Bam Hueske.

Zum Einstig wurde festgehalten: Während weltweit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht seien und in anderen Ländern Aufnahme suchten, seien die Nachbarländer der Länder (Jordanien, Türkei, Pakistan), aus denen geflohenen wird, meist sehr hoch belastet und müssten mehrere Millionen Geflüchtete aufnehmen.Deutschlands Lage stelle sich im Verhältnis – bei mehr als 80 Millionen Einwohnern und knapp einer Millionen Geflüchteter im Land - noch recht günstig dar, wie Bernhard von Grünberg ausführte. Vor allem innerhalb des Landes und in die direkten Nachbarländer führten die Fluchtbewegungen, in Europa käme dann nur ein Teil davon an.

Bei genauerer Betrachtung zeigte sich, dass die Fluchtursachen und -motive vielfältig sind, wobei die Flucht der drei Diskutanten zum Teil – durchaus privilegiert – mit Flugzeugen gelingen konnte. Ferhad Dawood als einziger konnte eine der so bekannten Fluchterfahrungen über das Mittelmeer schildern. Ausgehend von einem im Bürgerkrieg zerstörten Land Syrien, wollte er dem Militärdienst entkommen und floh zunächst über den Irak, wo es keine adäquate Bildung für ihn gab, sodass er später über Griechenland und einen sehr zehrenden siebenmonatigen Aufenthalt in der Schweiz irgendwann in Dortmund in einer Erstaufnahmeeinrichtung ankam; und natürlich, das betonte er, sei dies auch nur  mit gefälschten Papieren möglich gewesen; Nafice Fazely floh als Künstlerin wegen politisch-religiöser Gründe aus dem vom Mullahs regierten Iran, der Frauen keine Gleichberechtigung und freiheitlichen Rechte gewähre und zu Repressalien greife und die theokratische Ordnung aufrecht zu erhalten; Pascal Sevadouno beklagte, dass sein Land den jungen Menschen keine kostenlose Bildung ermögliche und stattdessen Kinder schon frühzeitig für die Familie mitarbeiten müssten und doch merkten, dass die wirtschaftliche Macht Europas, die sich in Form von Handelsvereinbarungen und Abstecken von Einflussbereichen niederschlügen, ökonomische Grundlagen in ihrer Heimat ruinierten; ganz zu schweigen vom Klimawandel, der zwar von den Industrienationen ausginge, sehr viel mehr aber Auswirkungen auf die Entwicklungsländer habe.Vielen bliebe dann nur die Flucht, um für ihre Familie oder für sich eine bessere Zukunft zu erreichen, was meist den Weg gen Europa bedeute. Bernhard von Grünberg kritisierte nicht ganz zu Unrecht, dass es nicht zunächst darum gehen könne, Globalisierung und Kapitalismus zu bekämpfen, sondern dass man vor allem zur Bekämpfung der Fluchtursachen auch vor Ort praktische Hilfe leisten müsse. Ein Beispiel war der Import von in den Niederlanden ausrangierten Fahrrädern, die in großen Flüchtlingslagern des Nahen Ostens Mobilität ermöglichten. Praktische Hilfe gebe es auch in Köln, wo eine Organisation ein für die Geflüchteten muttersprachliches Netzwerk aufgebaut habe, um Geflüchteten den Weg in die Gesellschaft, insbesondere der Bürokratie zu ebnen.

Alle drei Teilnehmenden arbeiten als Referenten für die Organisation „Bildung trifft Entwicklung“ (BTE) und vermitteln ihre Erfahrungen in unterschiedlicher Weise und Konstellation, um für Fluchtbelange zu sensibilisieren. Im Verlauf der Diskussion stellte sich heraus, dass die deutsche Bürokratie sehr oft ein Hindernis für eine noch bessere und größere Teilhabe darstellte, was in der Runde auch als Problem manches Deutsch-Muttersprachlers, teils mit einem Lächeln, bestätigt wurde.
Richtig ist aber auch, dass Flucht entsteht, wenn der Staat vor Ort versagt und keine Perspektiven für die jungen Menschen ermögliche.

Uwe Rhiem bemerkte zurecht, dass wir im Zeitalter einer neuen Völkerwanderung lebten, aber dass Migration immer schon ein Merkmal menschlicher Gesellschaften gewesen sei. Für ihn als Polizeibeamten i.R. sei Migrant treffender, denn ein Flüchtling sei aus seiner Sicht jemand, der sich der Fahrzeugüberprüfung entziehen wolle, was in der Runde für Erheiterung sorgte. Seine Erfahrung mit zwei Flüchtlingsheimen in der Eifel, die er vorübergehend leitete, fiel so aus, dass er einerseits auch Einzelfallgerechtigkeit walten ließ, wenn eine Frau auf der Flucht traumatisiert wurde und daher die Hausmeisterloge als Unterbringung erhielt, dass das Verhalten von geflüchteten Familien in diesen Heimen angemessen sei, aber dann Probleme entstünden, wenn zu viele Geflüchtete, alleinstehende Männer zu lange an einem Ort zusammen blieben. Seine genauen Beobachtungen und Polizeierfahrung ermöglichten es ihm auch, dass er kleinere Drogenringe, die Nordafrikaner im Begriff waren zu etablieren, auszuheben. Zum Thema der sprachlichen Integration vor Ort führte Anette Mandt ihre Erfahrungen mit weiblichen Geflüchteten aus, die oft dazu noch aus Ländern gekommen seien, in denen sie nicht alphabetisiert worden seien. Dies mache es um so schwieriger, dann in vorausgehenden Alphabetisierungskursen noch die lateinische Schrift als Grundlage für den deutschen Spracherwerb zu vermitteln. Überhaupt achte man bei der Gewährung von Deutschkursen zu wenig auf die, die wenige oder nur kurze Erfahrungen in Bildungssystemen gemacht hätten, denn die Anforderungen seien hoch und eher an jungen Menschen ausgerichteten. Es stellte sich damit die Frage, ob man nicht genauer nach dem Lernenden unterscheiden müsste, weil erst ein Scheitern zu erwarten sei, bis die zweite Chance und letzte Chance wahrgenommen werde. Wenn das Ziel sei, geflüchtete Frauen an der hiesigen Gesellschaft teilhaben zu lassen, wäre ein gewisses Umdenken geboten. Sonja Niggemeier stellte ihre Institution vor, die sich sehr mit Vor-Ort-Initiativen in Kölnvernetzt zeigte, das ehrenamtliche Engagement in der Willkommenskultur lobte und erlebt, dass sich im Verlauf der letzten Jahre Engagement-Gründe zum Teil veränderten und auch tendenziell mehr Aufwand in die Gewinnung von Ehrenamtlichen gesteckt werden muss.Heuteengagieren sich viele Menschen auch aus politischen Gründen um ein Zeichen für eine solidarische Gesellschaft gegen Abschottung, Ausgrenzung und rassistische Hetze zu setzen. Sie bot an, dass sich Interessierte bei der Kölner Freiwilligenagentur e.V. melden könnten. 

Die Geflüchteten der Runde ließen erkennen, dass sie ihre Chancen in Deutschand nutzen wollen, so studiert Ferhad Dawood noch, nachdem er eine Ausbildung abgeschlossen hat, Pascal Sevadouno arbeitet bei der Deutschen Welle und Nafice Fazely kann ihre Laufbahn als Künstlerin fortsetzen bzw. ihren Vorstellungen gemäß und frei ausüben. Doch ein richtiges Ankommen fällt natürlich schwer, weil ein großer Teil an Gedanken und Gefühlen immer noch im Heimatland ist. Beispielhaft dafür steht, dass Ferhad Dawood seine Eltern nicht zu Besuch aus Syrien nach Deutschland holen dürfe, womit er auch die deutsche Asylpolitik kritisierte.

Zuletzt, so ergab sich aus vielerlei Rückmeldungen von Teilnehmenden wie Zuschauern, zeigte sich, dass sich die meisten an diesem Abend vom Niveau, Erfahrungen und Hintergründen reichlich informiert sahen und dieses breite Themenfeld nun mit konkreten Bildern verknüpft werden konnte. Wenn dann die Podiumsdiskussion in diesem Sinne ein Mehr an  Empathie und Sensibilität für das Thema hat entstehen lassen, entspräche dies genau der Intention, die vor der Organisation dieses Abends das Leitmotiv bildete.

Sven Hansen, Oberstufenlehrer Deutsch und Geschichte

Von links nach rechts die Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Ferhad Dawood, Uwe Rhiem, Pascal Sevadouno, Nafice Fazely, Sonja Niggemeier, Anette Mandt und Bernhard von Grünberg